Interview mit Prof. Dr. Gesine Dreisbach

Frau Prof. Dr. Gesine Dreisbach legte ihr Vordiplom in Psychologie 1992 an der Universität in Mannheim ab, ihr Diplom in Psychologie 1997 an der Technischen Universität Berlin. Im Jahr 2000 promovierte sie zum Dr. phil. University of the Federal Armed Forces, in Hamburg.

Von 1997-2000 war Frau Dreisbach mit der Forschung im Bereich „kognitive Aktivität“ an der University of the Federal Armed Forces, Hamburg, betraut. Darauf folgten unter anderem Forschungen an der Technischen Universität Dresden am Lehrstuhl für Psychologie und eine Professurvertretung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/M. Seit 2009 ist sie Professorin am Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie an der Universität Regensburg.

In ihrer Forschung konzentriert sich Frau Dreisbach auf Prozesse der kognitiven Kontrolle. Die kognitive Kontrolle ermöglicht es dem Menschen, Denken und Handeln dynamisch an sich ändernde Ziele und Aufgabenanforderungen anzupassen.

Darüber hinaus übernimmt Frau Dreisbach redaktionelle Arbeiten im bereich experimentelle Psychologie und ist Serienautorin für SpringerBriefs in Cognition. Als Gutachterin für Forschungsinstitutionen ist sie unter anderem für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und den deutschen akademischen Austauschdienst (DAAD) tätig. Zudem ist sie Gutachterin für Wissenschaftliche Zeitschriften wie Acta Psychologica, Journal of Experimental Child Psychology, Journal of the International Neuropsychological Society, The American Journal of Psychology und viele mehr.

Prof. Dr. Gesine Dreisbach
Lehrstuhl für Allgemeine und Angewandte Psychologie

Lehrstuhl für Allgemeine und Angewandte Psychologie, Fakultät für Humanwissenschaften

Lernen, Motivation, Emotion (Grundlagen BSc), Mensch-Maschine-Interaktion (Anwendung Bsc), Kognitive Kontrolle und Exekutivfunktionen (Master)

Im Mittelpunkt meiner Lehre steht nicht die computationale/mathematische Modellierung sondern die Frage, welche kognitiven Mechanismen diesen Modellannahmen zugrunde liegen und welche experimentellen Paradigmen der Kognitionspsychologie geeignet sind, um die Modellannahmen empirisch zu überprüfen.

Theoretische und praktische Grundlagen der experimentellen Kognitionspsychologie

Ich finde es wichtig deutlich zu machen, dass das Ziel der Kognitionspsychologie darin besteht, die kognitiven (und neurophysiologischen) Mechanismen der menschlichen Handlungssteuerung zu verstehen. In der KI scheint es mir eher um die Funktionalität des Ergebnisses zu gehen. Beide Disziplinen können methodisch voneinander profitieren.

In meiner Forschung beschäftige ich mich mit Fragen der adaptiven Handlungssteuerung. In einer dynamischen Umwelt sind wir ständig mit antagonistischen Anforderungen konfrontiert. Einerseits müssen wir die Fähigkeit haben, uns auf eine aktuelle Aufgabe zu konzentrieren und diese gegenüber Störungen abzuschirmen. Andererseits müssen wir auch flexibel auf Umweltveränderungen reagieren. Die Frage, wie diese Balance zwischen kognitiver Flexibilität einerseits und kognitiver Stabilität andererseits moduliert wird, steht im Zentrum meiner Forschung.

Im weitesten Sinne dürfte die Konfliktüberwachungstheorie (Botvinick et al., 2001, Conflict monitoring and cognitive control) den engsten Bezug zur KI aufweisen. Ein Großteil meiner Forschung basiert auf diesem Computationalen Model. Das Model versucht zu erklären, wie ein Handlungskonflikt gelöst wird. Ein Handlungskonflikt wäre z. B.: Ich sehe das Wort GRÜN und soll aber die Farbe benennen, in dem das Wort geschrieben ist. Ein Handlungskonflikt liegt vor, weil der automatisierte und damit dominante Prozess des Lesens (grün) unterdrückt werden muss, zugunsten des eigentlichen Ziels die Farbe (rot) zu benennen. Der Erfolg des Conflict Monitoring Models (Stand heute, 6841 Zitationen, der Erstautor Matthew Botvinick ist heute Director of Neursocience Research bei DeepMind, London, UK) liegt darin begründet, dass kognitive Kontrolle, die zur Lösung dieses Handlungskonflikts nötig ist, nicht über einen zentralen „Entscheider“ ausgeübt wird. Stattdessen wird in dem Modell angenommen, dass die Aktivierung von zwei sich ausschließenden Handlungen (im Beispiel: „rot“ vs. „grün“ aussprechen) als Energie über eben diesen Output-Layern gemessen werden. Dieser Konflikt über den Output Knoten wird detektiert (von einem Konfliktdetektor), der dann Signale an eine Task Demand Unit sendet, die wiederum die Aufgabenrepräsentation stärkt, indem die Input-Layer im Folgedurchgang (neues Farbwort) sensitiver auf Farb- als Wortinformation reagieren. Das heißt, die Verhaltenssteuerung wird durch die Detektion eines Konflikts getriggert, aber dieser Detektor selbst braucht gar nicht zu wissen, was richtig oder falsch ist. Dieses computationale Modell wird durch Verhaltensdaten derart gestützt, dass man zeigen kann, dass Versuchspersonen auf einen zweiten Konfliktreiz schneller reagieren (den Konflikt schneller lösen), wenn ihm ein Konflikt vorausgeht als wenn ihm kein Konflikt vorausgeht (z.B. wenn der vorherige Reiz GRÜN war). Und auf neuropsychologischer Ebene gibt es Evidenzen, dass der Konfliktdetektor im anterioren cingulären Cortext verortet ist, und die Task Demand Unit im dorsolateralen präfrontalen Cortex. An dem Beispiel sieht man sehr schön, wie sich computationale Modelle, Bildgebung und experimentelle Verhaltensforschung ergänzen.

Ich habe kein praktisches Wissen in KI, d.h., ich habe keine Erfahrung im Modellieren. Aber ich nutze diese Modelle zur Vorhersage (und mitunter zur Erklärung) von Verhalten. Ich war als PostDoc für ein Jahr bei Jonathan D. Cohen in Princeton, der in seinem Lab diese drei Säulen (computational modeling, Bildgebung, experimentelle Verhaltensforschung) vereint.

Das kommt darauf an, wie weit/eng man KI fasst. So ganz klar ist mir das hier ehrlich gesagt nicht

Sobald ich Parallelen zu meinen eigenen Forschungsthemen (adaptive cognition) sehe, bin ich interessiert. Und ich denke mir, dass alle künstlichen Systeme, wenn sie erfolgreich sein sollen, adaptiv sein müssen (oder ansonsten wie das Duracell Männchen aus der Werbung an einer Wand enden). Und genau das ist der Part, der mich an menschlichem Verhalten interessiert. Die unglaubliche Flexibilität, die wir an den Tag legen, ohne dabei aber völlig chaotisch zu sein.

Das letzte Projekt habe ich mit einem Nachwuchsforscher aus der Biologie durchgeführt. Sein Spezialgebiet ist das Verhalten von Ameisen. Wir haben das Lösen von Handlungskonflikten bei Mensch und Ameise untersucht und verglichen. Der überraschende Befund, auch Ameisen können Konflikte lösen, zeigen aber nicht die oben für den Menschen beschriebene sequentielle flexible Anpassung an Konflikte.

Da man KI praktisch (again: Ich bin mir nicht sicher, wie eng/weit Sie den Begriff hier fassen) überall einsetzt bzw. einsetzen kann, halte ich ein größeres Bewusstsein für wichtig. Eine weitere Prognose fällt mir schwer. Ich glaube aber, dass die KI sehr von der Nähe zur Psychologie profitieren kann. Anders gesagt: Mit reiner Erhöhung der Rechenleistung wird man intelligentes Verhalten nicht künstlich erzeugen können (mir ist klar, dass das KI-ler heute auch längst nicht mehr so sehen).

Ehrlich gesagt, ich war eben zum ersten Mal auf der Seite, und war überrascht, dort meinen Namen zu finden (weil ich meinen Bezug zur KI, wie mittlerweile klar geworden sein dürfte, eher indirekt sehe). Habe aber jetzt nach dem Beantworten der Frage den Eindruck, dass ich mit meinem Forschungsschwerpunkt doch ganz gut passen könnte.

Eine etwas klarere Definition, was hier unter KI verstanden wird, wäre hilfreich.

Frau Dreisbach, vielen Dank dass Sie sich Zeit genommen haben, uns diese Fragen zu beantworten. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag!

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