Interview mit Dr. Thomas Hußlein, OptWare GmbH

Dr. Thomas Hußlein ist Geschäftsführer der OptWare GmbH.

Die OptWare GmbH wurde 1999 gegründet, um Unternehmen mit modernen Optimierungsverfahren bei der Verbesserung und Restrukturierung ihrer Prozesse zu unterstützen. Heute verbindet die Firma erfolgreich Instrumente der mathematischen Optimierung mit den Ingenieurswissenschaften und fortschrittlichster Technologie. Ihr Ziel ist es für jeden Kunden bei unterschiedlichsten Problemstellungen die optimale Lösung zu finden.

Zusammen mit Thomas Pfadenhauer führe ich heute die OptWare GmbH in Regensburg, welche wir vor mehr als 20 Jahren gründeten. Neben den administrativen Tätigkeiten als Geschäftsführer übernehme ich vor allem Aufgaben im Vertrieb und leite die Bereiche Mathematische Modellierung und Optimierung (MMO) sowie Planning Software and Operations (PSO).
In meiner Vertriebsrolle untersuche ich zusammen mit unseren Kunden neue Möglichkeiten mittels quantitativer Methoden und datengetriebener Planung und Steuerung bestehende und künftige Herausforderungen zu meistern. Meist müssen wir tief in die fachlichen Prozesse eintauchen, um die Ursachen starker (unternehmerischer) Schmerzen zu finden, welche wir anschließend in Projekten heilen.

In den Lösungen, die wir mit unseren Kunden gemeinsam umsetzen, überführen wir mathematische, anspruchsvolle Optimierungsalgorithmen und modernste Softwaretechnologien in die produktiven Systeme und generieren kontinuierlich Nutzen.
Wir erarbeiten für unsere Kunden – bspw. Automobilbauer und deren Zulieferer, Maschinen- und Anlagenbauer sowie Vertreter aus der Finanz- und der Pharmaindustrie – individuelle Lösungen mittels Methoden aus der mathematischen Optimierung und dem Data Science. Für viele Problemstellungen beziehen wir riesige Datenmengen ein, meist aus verschiedenen Quellen und in völlig unterschiedlichen Formaten. Zudem wohnt den meisten Problemen selbst eine enorme Komplexität inne, so dass wir auf den Methodenschatz aktueller Forschung zu KI und Optimierung zurückgreifen müssen.

KI hält derzeit in zahlreichen Facetten Einzug in sämtliche Unternehmensprozesse. Gelegentlich wird KI auf einige wenige Methoden wie künstliche neuronale Netze reduziert, jedoch sehen wir ein deutlich größeres Feld an Anwendungen und Methoden. So werden bereits heute an vielen Stellen in Unternehmen Entscheidungen von Algorithmen intelligent vorbereitet oder gar autonom getroffen. Beispielsweise entwickeln wir Sequencing-Algorithmen, die vollautomatisch eine optimale Reihenfolge von Werkstücken bestimmen und die Ergebnisse in die produktiven Systeme unserer Kunden zurückschreiben. Erst kürzlich berichtete uns ein früherer Kunde, dass ein von uns entwickelter Algorithmus bereits seit acht Jahren ununterbrochen im Einsatz ist. Somit wurde eine zentrale Aufgabe der operativen Planung von der Maschine vollständig übernommen.

KI im medial strengeren Sinne, also mit Ansätzen wie künstlichen neuronalen Netzen oder RandomForest, setzen wir gerne für Prognosen und im Predictive Maintenance ein. Zuletzt haben wir bestimmte Aspekte des Motorverhaltens prognostiziert und lagen extrem nah an den später eingetretenen Werten. In diesem Bereich der KI stellen sich allerdings neben der Algorithmik noch eine Reihe weiterer Herausforderungen. Beispielsweise ziehen wir meist sehr große Datenmengen heran und verarbeiten diese. Die Vielfalt der Systeme, Konzepte und Formate und deren kontinuierlich rasche Weiterentwicklung erfordert, dass wir unsere Fertigkeiten und Tools zum Datenhandling und der Softwareentwicklung zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit stets auf dem neuesten Stand halten müssen.
Ursprünglich wurde die OptWare als Spin-off der Universität Regensburg gegründet und ist noch immer gut in der Uni vernetzt. Wir arbeiten insbesondere mit dem Bereich Wirtschaftsinformatik in Form von Praktika und Bachelor-/Masterarbeiten sowie mit der Biophysik auf dem Gebiet der neuronalen Netze zusammen.

Darüber hinaus sind wir mit der OTH Regensburg vor allem mit der Fakultät Informatik und Mathematik sehr eng vernetzt. Die Zusammenarbeit beinhaltet Praktika, Bachelor-/Masterarbeiten und Promotionen. Auch unterstütze ich den Praxisaustausch durch die Übernahme der Vorlesung zum Operations Research im Studiengang Informatik.
Wir bleiben am Puls der Zeit bezüglich des Wissens und der Werkzeuge. Durch verschiedene Abschlussarbeiten wie Bachelor, Master oder Promotion können wir leichtgewichtig neue Ideen ausprobieren. Außerdem entsteht durch den engen Kontakt mit den Studierenden oft die Gelegenheit, zukünftige Mitarbeiter*innen frühzeitig kennenzulernen.
Künstliche Intelligenz ist aus der Planung, den Prozessen und den Produkten vieler Unternehmen schon heute nicht mehr wegzudenken. Die Studierenden von heute werden auf allen Ebenen ihres Berufslebens mit Künstlicher Intelligenz zusammenarbeiten. So, wie vor 50 Jahren der Umgang mit dem Taschenrechner unumgänglich war oder wie vor mehr als 20 Jahren Excel, Word und Power Point in vielen Unternehmen zum Standard wurde, genauso selbstverständlich wird künftig die Interaktion mit autonomen und selbstlernenden Systemen erwartet. Studierende sollten darauf vorbereitet sein, in welcher Weise sie diese neuen Werkzeuge optimal einsetzen können. Sie sollen die richtigen Fragen an die Systeme stellen und gegenüber den Ergebnissen eine konstruktiv kritische Haltung einnehmen können. Dazu sehe ich es als unerlässlich an, sich bereits heute universell mit den Möglichkeiten, aber auch den Grenzen der Künstlichen Intelligenz auseinander zu setzen.
Wir beschäftigen uns regelmäßig, also auch aktuell und zukünftig, mit grundlegenden Themen aus der Optimierung und dem Data Science sowie aktuellen Forschungsergebnissen zur effizienten Softwareentwicklung. Wir sind stets offen für Anfragen zur Zusammenarbeit.

Aktuelle Arbeiten unterliegen der Vertraulichkeit, die wir in diesem Kontext leider (noch) nicht ausführen dürfen.
In der Forschungsarbeit haben wir uns sehr breit aufgestellt.

In den letzten Jahren habe ich zusammen mit damaligen Kollegen eine Reihe von Forschungsartikeln in anerkannten Fachzeitschriften veröffentlicht. Neben grundlegenden Problemstellungen zu Lösungsmethoden beschäftigen wir uns meist mit der Implementierung der Algorithmen in die Unternehmensplanung. Grundlegende Forschung zur Implementierung ist zwingend notwendig, denn auch leistungsfähigste Algorithmen können nur dann effektiv genutzt werden, wenn die Unternehmensprozesse darauf abgestimmt werden.

  1. M Feldmeier, T Husslein Backbone Strategy for Unconstrained Continuous Optimization, 2017, ECMS, 529-533
  2. T. Husslein, J. Breidbach, Anwendung und Anwendbarkeit von Optimierungsalgorithmen in der Praxis in: Produktionsplanung und –Steuerung, Springer, 227-239 (2015)
  3. T. Husslein, C. Danner, M. Seidl, J. Breidbach, W. Lauf Deriving A Mathematical Model Of A Paint Shop From Data Analysis ECMS 2014: 670-675
  4. S. Müller, C. Danner, J. Breidbach, M. Seidl, T. Hußlein, Wolfgang Lauf Stochastic Modeling of Throughput Times of Supplier Parts for an Automotive Plant Prozesse, Technologie, Anwendungen, Systeme und Management (2014), 35-47
  5. J. Schneider, C. Froschhammer, I. Morgenstern, T. Husslein, J. Singer Searching for backbones — an efficient parallel algorithm for the traveling salesman problem Comp. Phys. Comm.: 2-3/96 (1996) 173-188.
Die OptWare beteiligte sich in der Vergangenheit auch an öffentlich ausgeschriebenen Forschungsinitiativen, bspw. dem ZIM_SOLO Förderprogramm oder der Bayerischen High-Tech-Offensive zu grundlegenden Aspekten der Algorithmik und stochastischen Einflüssen auf Optimierungsverfahren. Wir streben auch künftig Zusammenarbeiten in dieser Form an.

Last but not least unser Wissensschatz in zahlreichen Abschlussarbeiten: Hervorheben möchte ich hier zwei Arbeiten der vergangenen Jahre zur Künstlichen Intelligenz. In einer Masterarbeit, die gemeinsam mit der Universität Regensburg betreut wurde, untersuchten wir Deep Learning-Ansätze im Supply Chain Management. In einer kürzlich abgeschlossenen Bachelorarbeit im Verbund mit der OTH Regensburg erzielten wir sehr gute Ergebnisse mit einem Reinforcement Learning-Ansatz bei einem Scheduling-Problem.
Mich faszinierte schon immer, wie man Entscheidungen und den Prozess der Entscheidungsfindung in einem Computer abbilden kann. Das beschäftigt mich bereits seit meinem 16. Lebensjahr. Die Grundlagen der neuronalen Netze und Ihre Verbindung zu Optimierungsalgorithmen wurde mir in meinem Studium der Computational Physics vermittelt. Auch in meinem weiteren Werdegang am IBM Watson Resarch Center und der University of Pennsylvania setzte ich mit intensiv mit KI auseinander, was schließlich in der Gründung der OptWare und weiterhin vertieften Arbeit mit dem Thema Optimierung mündete. In der OptWare habe ich immer wieder Impulse zum produktiven Einsatz von KI gesetzt. Die persönliche Betreuung von Masterarbeiten sowie der Kontakt mit der Uni Regensburg bieten mir exzellente Möglichkeiten für einen tiefen Einblick in die aktuelle Forschung.
Grundsätzlich fällt mir der Zugang zu aktuellen Themen der KI wegen meines theoretischen Hintergrunds und der jahrlangen Anwendung im Unternehmenskontext relativ leicht. Allerdings entwickelt sich die KI extrem schnell in sehr viele Richtungen, so dass Einzelpersonen dies kaum noch zu überblicken können. Es scheint mir daher nahezu unmöglich, „Universalexperte“ in allen Systemen gleichzeitig zu sein. Daher verteilen wir das vielfältige Knowhow zur KI auf unsere Mitarbeiter*innen in der OptWare, um in Breite und Tiefe aktuell bleiben.
Wie oben bereits angeführt, begleiten mich die Theoretische Grundlagen und die Faszination schon seit etlichen Jahrzehnten, insbesondere die mathematischen Ansätze aus Daten zu lernen und Wissen zu generieren. Seit einigen Jahren reifen Hardware und Entwicklungsmöglichkeiten sowie das Verständnis in den Unternehmen soweit heran, dass KI mit überschaubaren Projektumfängen implementiert und produktiv eingesetzt werden kann. Mit Hilfe der KI entwickeln wir heute neue und vor allem ganzheitliche Lösungen für Probleme, an denen Einzelne wegen der Komplexität oder Größe bislang scheiterten. So wird es möglich, die Entscheidungsfindung in Unternehmen zu objektivieren und in Teilen sogar zu automatisieren.
Derzeit treffen wir das Thema KI sehr stark bei Studierenden der Mathematik, Physik und Informatik sowie in einigen ethischen Diskussionen an. Ich wünsche mir, dass die Hochschulen dazu beitragen, ein breites Verständnis zur KI in sämtlichen Studiengängen zu schaffen und die Zusammenarbeit mit der KI fördern. Das Verständnis baut Vorurteile ab und lässt angemessene Interpretation der Ergebnisse zu. Im Idealfall erkennen und akzeptieren Studierende die Stärken der Maschine in einigen Bereichen und verstehen es, diese mit ihren eigenen – menschlichen – Stärken nutzbringend zu verknüpfen.

Zusätzlich zu technischen Aspekten und den Möglichkeiten der ökonomischen Anwendung sollten Studierende auch die ethische, rechtliche und politische Tragweite einer umfassenden Einführung Künstlicher Intelligenz diskutieren können. Allgemein denke ich, dass die „Gefahren“ und Veränderungen von und durch KI-Entscheidungen möglichst früh vermittelt werden müssen. Zudem muss endlich der rechtliche Rahmen für den Verantwortungsübergang von einer Entscheidung des Menschen zu einer Entscheidung der KI bereitgestellt werden.

In sämtlichen Diskussionen steht und fällt alles mit der korrekten Erhebung und Aufbereitung der Trainingsdaten sowie dem durchgängig kritischen Hinterfragen der Modelle und Ansätze. Und, damit Diskussionen zwischen allen beteiligten Disziplinen auf Augenhöhe geführt werden können, gilt der universelle Rat: Keep it simple!
Der interdisziplinäre Ansatz in der Forschung, der Kontakt mit der Praxis und natürlich die Einbindung der Studierenden begeistern mich sehr. Ich sehe eine große Schnittmenge zu meinen persönlichen Interessen und der Arbeit der OptWare. Ganz unmittelbar beteilige ich mich an diesem Interview. Aber auch zukünftig werde ich mich über eine Zusammenarbeit mit „Wissen schafft2 Daten“ freuen.
Ich beobachte seit einigen Jahren, dass die Einstiegshürde zur Entwicklung einer eigenen KI rapide gesunken ist. Beispielsweise kann man Bilderkennung (Klassifikation) mit zahlreichen Online-Tools bereits ohne Programmierung ausprobieren. Aber auch das Programmieren selbst wird stark vereinfacht. In entsprechenden Kursen an der Universität, auf online-Lernplattformen oder natürlich in den Crashkursen des Projekts „Wissen schafft2 Daten“ wird bereits in sehr kurzer Zeit ein Einstieg in die relevanten Sprachen, allen voran R und Python, gegeben. Unter Zuhilfenahme frei verfügbarer Bibliotheken für R/Python kann man auch als Einsteiger mit wenigen Dutzend Zeilen Code eine eigene Künstliche Intelligenz für ein individuelles Problem trainieren und erhält auf diese Weise womöglich einen würdigen Gegner für das Lieblingsbrettspiel.

Abschließend mein zweiter (und letzter) Rat in diesem Interview: Probiert es einfach mal aus!


Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, uns diese Fragen zu beantworten. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag!

Zuletzt bearbeitet am