Interview mit Philipp Schwarz, TGW Software Services GmbH

Philipp Schwarz ist Softwareentwickler bei TGW.

TGW entwickelt alle wesentlichen Bestandteile seiner Lösungen selbst: ob Software, Steuerung, Robotik oder die mechatronischen Module. Dabei denken wir über die Grenzen des aktuell Möglichen hinaus und gehen neue Wege. Die Vision des autonomen Fulfillment Centers beflügelt uns. Wir gestalten die Zukunft mit Innovationen und richtungsweisenden Technologien – und machen sie zu den leistungsstarken Standards unserer Branche. Dieser Anspruch zeichnet uns aus und ist ständige Motivation.

Aktuell beschäftigt das Stiftungsunternehmen TGW mehr als 3.700 Mitarbeiter auf drei Kontinenten und erzielte im Geschäftsjahr 2018/19 einen Umsatz von 720 Millionen Euro.

Ich arbeite für die TGW Software Services GmbH als Softwareentwickler. Nebenbei bin ich als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der OTH Regensburg angestellt.

TGW:

  • Softwareentwicklung im Bereich Materialfluss
  • Herausarbeiten und Umsetzen von AI Anwendungsfällen zur Verbesserung der Auftragsabarbeitung in Intralogistikanlagen.

OTH: Projekt zum Erkennung von Posen mittels CNNs / Forschung

TGW: Bis ein Auftrag ein Logistikzentrum verlässt, müssen verschiedenste mechatronische Komponenten, auch in Verbindung mit manuellen Tätigkeiten, gesteuert und effizient koordiniert werden. Dabei entsteht eine Vielzahl an Daten. Dies reicht von Sensordaten der Mechatronik bis hin zu Warenbewegungen und Auftragsdaten. Diese große Menge an Daten bietet ein hohes Potential für den Einsatz von AI. Eines der Ziele die dabei verfolgt werden ist z.B. Resilienz der Logistikprozesse. Beispielthemen an denen ich beteiligt bin:

  • AI-Methoden (z.B. Genetische Algorithmen / Reinforcement Learning) zur Verbesserung der Auftragsabarbeitung und der Lagerhaltung

Analyse von Fahrzeugdaten automatischer Regalbediengeräte

Wirtschaft: AI ist nicht die Lösung aller Probleme. Oft sind einfachere statistische Modelle / klassische Algorithmen ebenso effizient, aber stabiler und nachvollziehbarer. Studierende der Studiengänge mit AI Bezug (Informatik, Mathematik, Medienwissenschaften, …) sollten fundiert begründen können wann welcher Ansatz Sinn ergibt bzw. welche Vor- und Nachteile sich ergeben. Dazu sind Kenntnisse der Problemmodellierung mit und ohne AI-Methoden von Nöten. Am Ende ist der Mehrwert für das Unternehmen entscheidend.

Sozial: AI Techniken haben und werden auch in Zukunft für überraschende Anwendungen sorgen (z.B. Deepfakes). Um die sozialen Implikationen dieser „neuen“ Technologien abschätzen zu können ist ein grundsätzliches Verständnis unumgänglich – unabhängig vom Studiengang.

TGW: Im Rahmen einer universitären Kooperation mit der JKU Linz wird der Einsatz von Reinforcement Learning Agenten für Probleme der Lagerhaltung erforscht.

An der OTH befasse ich mich mit dem Thema Pose-Estimation. Dabei finde ich geometrisches Deep-Learning sehr interessant, insbesondere Verallgemeinerungen von CNNs auf Manigfaltikeiten.

Werdegang:

  • Ausbildung Fachinformatiker
  • Studium der Mathematik (Master)
  • Softwareentwickler TGW / Wissenschaftlicher Mitarbeiter OTH Regensburg

 

KI-Wissen:

  • Ausbildung:
    • Datenbanken
    • Programmierung
    • Linux
  • Studium:
    • Statistik
    • Schätztheorie, Statistical Learning (Tests, Regression, SVMs, Clustering, basic NNs, R)
    • Optimierung (z.B. Adam-Optimierer für NNs),
    • Robotik
  • Selbststudium / Nachher (Online Kurse, Bücher, Paper, Konferenzen):
    • CNNs
    • Reinforcement Learning
    • Peripherie (Jupyter-Notebook, Tensorflow, Cuda, Docker, …)
    • High-Dimensional Probability

Da „Themen, die einen KI-Bezug aufweisen“ sehr weit gefasst ist kann ich diese Frage nicht abschließend mit Ja oder Nein beantworten. Aufgrund meiner Vorbildung in der Mathematik und Informatik bin ich in der Lage die meisten Konzepte recht schnell zu verstehen und mich ggf. Tiefer in ein Thema einzuarbeiten. Trotzdem benötigt man einiges an Fingerspitzengefühl (Datenaufbereitung, Architekturoptimierung und Domain-Wissen) um AI-Methoden erfolgreich anwenden zu können. Kurz: es gibt kein Rezept um herauszufinden welche Ansätze / Modele funktionieren. Das kann schon mal frustrierend werden, macht es aber auch interessant.

Zudem ist für den produktiven Einsatz von AI viel mehr nötig als ein gutes Model. Leistungsfähige Hard- und Softwareinfrastruktur zum Abgreifen, Speichern und Verarbeiten der Daten ist ebenso wichtig. D.h. es werden für die erfolgreiche Umsetzung von AI Projekten verschiedenste Spezialisten benötigt, die von sich hoffentlich behaupten können, dass ihnen die Themen in ihrem Bereich „leicht fallen“. Generalisten wie in Scrum-Teams sind eher unwahrscheinlich.

AI-Methoden lassen die Daten für sich sprechen. Daher Fakten, die durch diese Daten gegeben sind, stehen im Vordergrund. Ein gutes Modell wird beim Training aus diesen Fakten Zusammenhänge lernen, die sonst möglicherweise verborgen geblieben wären. Umgekehrt werden, durch diese datenzentrische Sicht, falsch angenommene Zusammenhänge revidiert. Der Fokus liegt auf dem, was tatsächlich ist und nicht auf dem was sein könnte. Das ist der Mehrwert von AI (jedenfalls im momentanen Stadium). Erkauft wird er durch hohe Rechenkosten. Diese datenorientierte Sichtweise und die adaptive Rückkopplung über AI Modelle finde ich sehr interessant. Faszinierend ist, dass viele Algorithmen und Ansätze von Vorgängen aus der Natur inspiriert sind. In diesem Zusammenhang finde ich Reinforcement Learning, dessen Ursprung sich zur Verhaltensforschung zurückverfolgen lässt, besonders interessant.

Wie oben erwähnt gibt es den AI-Allrounder nicht. Dies sollte sich in den Studiengängen wiederspiegeln.

Mathematisch orientierte AI-Studenten werden sich eher mit Themen wie Optimierung, Modellierung, Statistik / high-dimensional Probability auseinandersetzen. Das theoretische Fundament steht im Fokus. Währenddessen Informatik orientierte AI-Studenten sich auch Hard- und Softwareinfrastruktur-Themen zuwenden. Dazwischen ist der Data-Scientist angesiedelt. Verschiedene Ausrichtungen müssen möglich sein. Auch ist die Kombination mit anderen Studiengängen (z.B. Erstfach Biologie, …) interessant. So könnte das eine Gebiet die Anwendung für das Andere liefern.

 

AI / Statistik lebt von der Anwendung. Theorie alleine reicht nicht um ein Gefühl für die verschiedenen Methoden zu bekommen. Studenten müssen praktische Erfahrungen mit Modellen (NNs, RL, …) sammeln, diese ggf. einmal selbst implementiert und trainiert und getestet haben. Dazu ist entsprechende Hardware nötig. Praktische Projekte mit Firmen oder anderen Lehrstühlen sind meiner Meinung nach äußerst förderlich um von der Theorie zur Anwendung zu kommen.

 

Die Kommunikation mit Experten fachfremder Gebiete ist sehr wichtig. Denn für das erfolgreiche Anwenden von AI-Methoden ist deren Wissen essentiell. Die Bezeichnung AI führt gerne mal zu falschen Vorstellungen. Auch hier sollten AI-Studierende klar kommunizieren können, was machbar ist und was nicht, bzw. was durch AI-Methoden zu erwarten ist und welchen Aufwand diese bedeuten (siehe auch 6.).

 

Der AI Bereich hat potential Anwendung und Forschung fachübergreifend zusammenzubringen.

Weiter können AI Kenntnisse Studenten wichtige Vorteile verschaffen. Dennoch sollte die Rolle die AI einnimmt nicht überschätzt werden. Klassische Ansätze und Algorithmen dürfen nicht vernachlässigt werden.

Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, uns diese Fragen zu beantworten. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag!

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