Interview mit Dr. Claudio Lottaz

Herr Dr. Claudio Lottaz studierte von 1988 bis 1994 Informatik, Mathematik und Mikroelektronik am Institut für Informatik und Angewandte Mathematik der Universität Bern und dem Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique der Universität Neuenburg (Neuchâtel). Zwischen 1994 und 2000 war er PhD-Student der Informatik am Artificial Intelligence Laboratory des Swiss Federal Institute of Technology in Lausanne. Zusätzlich studierte er von 2000 bis 2002 Bioinformatik im Master am Swiss Institute of Bioinformatics. Neben dem Studium arbeitete er am Swiss Institute for Experimental Cancer Research. Von 2002 bis 2006 war er Post-doc Forscher am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in der Abteilung für Bioinformatik.

Seit 2007 ist Herr Lottaz wissenschaftlicher Mitarbeiter und Forschungsleiter am Lehrstuhl für Statistische Bioinformatik des Instituts für Funktionelle Genomik an der medizinischen Fakultät der Universität Regensburg. In seiner Forschung beschäftigt sich Herr Lottaz mit modernen Sequenziertechnologien.

Dr. Claudio Lottaz
Forschungsleiter am Institut für Funktionelle Genomik

Ich arbeite am Lehrstuhl für Statistische Bioinformatik des Instituts für Funktionelle Genomik in der medizinischen Fakultät als wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Ich entwickle Übungen, Seminare und Praktika zur Bioinformatik, die wir im Studiengang „Computational Science“ für Bachelor und Master Studenten anbieten. Als Nebenfach werden diese Angebote auch von Physikern, Biologen, Biochemikern und Mathematikern besucht.

Ich bin In biologische und medizinische Projekte involviert, in denen moderne Technologien zur hoch-dimensionalen Messung von Gen-, Protein- oder Metabolom-Expressionen zum Einsatz kommen. Üblicherweise fallen also enorme Datenmengen an, die nicht mehr von Hand, sondern viel mehr mit maschinellen Lernmethoden untersucht werden müssen. Lassen Sie mich als Beispiel aus der wissenschaftlichen Arbeit am Lehrstuhl eine Analyse von fast 1000 Lymphompatienten erwähnen. Für alle diese Patienten wurden mit routinemäßig nicht praktikablem Aufwand die Aktivität von mehr als 20000 Genen gemessen, um 48 Genmarker zu finden, die behandlungsrelevante Diagnose mit einer günstigen und Zeiteffizienten Technik ermöglichen.

Während in Vorlesungen komplexe Projekte und deren Resultate zusammenfassend dargestellt werden können, entwickle ich für Übungen vereinfachte Beispiele, für die Studenten in eigener Analysearbeit valide Resultate finden können. Dass der eigentliche Nutzen solcher Resultate sich nicht einfach erschließt, unterstreicht die Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit in medizinischen und Biologischen Projekten.

Für die interdisziplinäre Zusammenarbeit lernt der Student also das nötige Vokabular um mit Medizinern oder Biologen diskutieren zu können, von diesen Experten zu lernen und eigene Resultate verständlich darzustellen. In die eigene Verantwortung eines Bioinformatikers fallen hingegen Kenntnisse in Programmieren, Statistik und maschinelles Lernen. All dies kann ein Student bei uns in wissenschaftlichen Projekten üben.

Immer mehr naturwissenschaftliche Techniken ermöglichen hoch-dimensionale Messungen und werden zunehmend günstiger in der Anwendung. So können zwar enorme Datenmengen angehäuft werden, aber deren Analyse stellt die klassische Naturwissenschaft zunehmend vor Herausforderungen. Die Einschätzung von Datenqualität und die valide statistische Analyse ist für moderne medizinische und biologische Projekte unabdingbar und die passenden Könner Mangelware.

Ich bin in den letzten Jahren vor allem mit modernen Sequenziertechnologien beschäftigt. Diese lösen die bisherigen Expressions-Messmethoden zunehmend ab. Wie so häufig bei neuen Technologien ist auch hier die Qualitätssicherung ein schwieriger Punkt. Dieser Problematik kann man hier zum Teil dadurch begegnen, dass Genpositionen mehrfach gemessen werden und eine Mehrheitsabstimmung dann akzeptabel ist. Der resultierende Rechenaufwand macht entsprechend in der Qualitätssicherung die Entwicklung effizienter Algorithmen und kluger Programmierung unabdingbar.

In meiner Dissertation habe ich die Lösung von Ungleichheitssystemen behandelt. Dies habe ich im Artifitial Intelligence Lab der ETH Lausanne entwickelt. Dabei ging es um numerische Lösungen, die dann auch die Lösungsräume visuell darzustellen versuchte. Damals war die Zusammenarbeit mit Architekten und Bauingenieuren für mich der Startpunkt, mich zunehmend für die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu interessieren. Nach einem Nachdiplomstudium in Bioinformatik habe ich mich mit Genexpressionsanalysen beschäftigt, für die ich einige Algorithmen zum maschinellen Lernen genutzt und andere entwickelt habe.

Ich habe Informatik studiert und in der Universität Bern Anfang der 90er Jahre als Hilfsassistent betreut was damals als künstliche Intelligenz galt. Für meine Masterarbeit entwickelte ich ein Bayes-Netz um aus Arztberichten Schilddrüsenkrankheiten zu diagnostizieren. Seitdem ich als Bioinformatiker arbeite, habe ich maschinelles Lernen zur Diagnose von Krankheiten oder zur Detektion von Biomarkern genutzt.

Wenn wir gelten lassen, dass maschinelles Lernen zu künstlicher Intelligenz gehört, fällt mir der Umgang nicht schwer. Die hochdimensionalen Daten, die in all unseren Projekten auftreten, lassen sich anders nicht mehr bewältigen. Etwas schwerer fällt mir das Vertrauen in die „Deep Learning“ Community, die gerade auslotet, wie sich mit enormen Datenmengen gewaltige neuronale Netze trainieren lassen. Einige Erfolge lassen sich nicht leugnen, aber der vollständige Verzicht auf die Nachvollziehbarkeit von Resultaten ist mir suspekt.

Die strikt zielgerichtete Wissenschaft, die zuerst eine vollständige Hypothese verlangt, dann eine gezielte Messung bedingt und als Resultat nur die Bestätigung oder Falsifizierung erlaubt, scheint mir in der biologischen und der medizinischen Wissenschaft möglicherweise zu beschränkt. In hoch-dimensionalen Datenräumen ist die Anzahl der möglichen Hypothesen einfach zu groß, um die Nadel im Heuhaufen, also die richtige Hypothese zu finden. Hoch-dimensionale Messmethoden helfen zusammen mit maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz interessante Hypothesen zu finden und später auch zu verifizieren. Dabei müssen wir in der Wissenschaft der Versuchung widerstehen, ganz ohne Vorstellung möglichst große Datenmengen anzuhäufen, um uns von den Resultaten einfach gänzlich überraschen zu lassen.

Von 2002 bis 2018 war ich fest im Großen Konsortien zu Leukämie und Lymphomen involviert. Dabei habe ich in Zusammenarbeit mit Medizinern die frühzeitige Diagnose von Patienten zur Verbesserung von Behandlungsentscheidungen versucht. Aktuell pflege ich lose Zusammenarbeiten mit Biologen und Medizinern um unser eigenes Können zur Sequenzanalyse zu stärken.

Ich habe als Student meine erste Vorlesung zu künstlicher Intelligenz 1991 belegt. Damals hatte diese Thematik noch den Charme von Science-Fiction, weil real existierende KI-Systeme nur rudimentäre Aufgaben lösen und demonstrieren konnten. So hatte KI etwas Spielerisches und war höchstens in Romanen bedrohlich. Heute, nach 30 Jahren, ist das anders. KI-Systeme müssen ernst genommen werden. Sie lösen wichtige, ernsthafte Aufgaben, sind immer präsenter und haben auch das Potential bedrohlich zu werden. Heutige Studenten müssen lernen, KI-Systeme zu verstehen, zu nutzen und im Alltag zu erkennen. Gerade dieser Aspekt der Alltagstauglichkeit impliziert, dass auch Menschen ohne technische Ausbildung mit KI-Systemen werden interagieren müssen. Der Einsatz von KI auf breiter Front impliziert für die Hochschulausbildung auch einen Auftrag, auf breiter Front auszubilden: Weiterentwicklung von KI Systemen für Ingenieure, Nutzung von KI-Systemen für Wissenschaftler genauso wie das Erkennen von KI im Alltagsleben für Jedermann um die KI im Zaum zu halten.

Vernetzung hat auf jeden Fall das Potential, einen Standort zu stärken. Sowohl der wissenschaftliche Austausch als auch die breitere Ausbildung für Studenten ist erstrebenswert. So freue ich mich darüber, dass wir in unseren Vorlesungen viele Nebenfachstudenten begrüßen dürfen.

Gerade ist KI in Politik und Gesellschaft ein großer Hype. So liest sich dieser Fragebogen leider auch etwas einseitig. Zur wissenschaftlichen Einordnung gehört aber auch die kritische Beurteilung von Ethischen Bedenken oder Vorschlägen zur Kontrolle. Natürlich kann jeder für sich ein rein positives Fazit ziehen, aber Wissenschaftler und Lehrer müssen sich auch moralische Gedanken machen.

Herr Lottaz, vielen Dank dass Sie sich Zeit genommen haben, uns diese Fragen zu beantworten. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag!

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